Kreatives Schreiben
Dieser intensiven Auseinandersetzung entspringen u.a. Vorschläge zur Gestaltung einer Ausstellung, Paralleltexte (Vorlage: Martin Peichl - Textauszug aus: „Wie man Dinge repariert“) oder Portraitgedichte.
Literatur = trockene Materie? Von wegen!
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Vorschläge für Ausstellungen
Folgende Gegenstände dürfen bei einer Ausstellung zu Th. Bernhard „Ein Kind“ nicht fehlen:
Ein Bild, das an eine düstere Zeit in Thomas Bernhards Leben erinnert. Eine Zeit lang hatte er mit nächtlichen Bettnässen zu kämpfen. Als Strafe hängte seine Mutter das beschmutzte Bettlaken nach draußen zum Trocknen, wo es jeder sehen konnte. Auch im Erziehungsheim in Saalfeld, das Thomas Bernhard in seiner Jugend besuchte, griff man auf ähnliche Methoden zurück. Das Bettlaken mit dem Fleck wurde für jeden gut sichtbar aufgehängt. Zusätzlich strich man dem Kind das Frühstück. Mit diesen Erziehungsmaßnahmen wollte man dem jungen Thomas Bernhard das Bettnässen abgewöhnen. Das Ganze erwirkte, wie zu erwarten, keine Besserung. Thomas Bernhard erlebte schlicht nur eine schreckliche Demütigung. Später sagte er über das Erziehungsheim in Saalfeld, dass er dort traumatische Dinge erlebt habe. Eins davon war vielleicht diese Art der Bestrafung.
In dem Buch „Ein Kind“, einer Autobiographie von Thomas Bernhard über seine Kindheit, erzählt er von seinen denkwürdigsten Momenten der Verzweiflung, Wut, Traurigkeit, Angst, Abenteuer und Freude. Wie andere Kinder hatte er viel über die Schule zu sagen, da er viel Zeit dort verbrachte. Er genoss die meiste Zeit im Klassenzimmer nicht und die einzigen Themen, die er wirklich mochte, waren Zeichnen und Geographie, wahrscheinlich weil sie die einzigen Fluchtmedien in seinem einsamen Leben waren. Er wollte frei von all dem Schmerz sein, den er fühlte. Er wollte die Welt sehen und die Geschichten erleben, die ihm sein Großvater erzählte. Er liebte es, den Atlas zu betrachten und die Landgrenzen mit dem Finger zu verfolgen: ‘Mit dem Finger über die Landkarte’ (S.93). Seine Fantasie war seine Freiheit und er genoss jede Sekunde seiner Abenteuer auf jeder Seite des Buches. ‘Immer die gleichen Punkte immer andere Phantasien.’ (S.93)
Ich würde eine Modelleisenbahn mit Modelleisenbahnbrücke ausstellen. Thomas Bernhard beschreibt im Zusammenhang mit der Brücke nahe seines Hauses einerseits positive Erinnerungen, andererseits negative. Er beschreibt einen Teil seiner Kindheit, in dem er Spaß mit seinen Freunden hatte, als sie Steine und Stöcke auf die Gleise der Bahn legten, um diese unter dem Gewicht der Bahn zerbröckeln zu sehen. Ich denke, diese Erinnerung ist eine Ausnahme, da der Großteil seiner Kindheit in „Ein Kind“ negativ beschrieben wird. Bernhard beschreibt im Zusammenhang mit der Brücke jedoch auch seine Träume, welche Albträumen glichen. In ihnen sah er die Eisenbahnbrücke einstürzen und „Die nur an einem Faden in den reißenden Fluss herunterhängenden Ersterklasseabteile, an welchen lauter Leichen und im Katastrophenwind schreiende Überlebende zappelten“ (Zitat, S. 21-22). In seinen Träumen wurden vielleicht unterbewusst die düsteren Seiten seiner Kindheit wiedergespiegelt und verarbeitet. Diese zwei Erinnerungen Thomas Bernhards sind so unterschiedlich, wie auf der einen Seite die Lebensfreude in seiner Kindheit, auf der anderen die Last, die diese an den meisten Tagen herunterzog.
Thomas Bernhard ist noch ein Kind und lebt in Traunstein. Dort lebt er ungern. Er hat keine Freunde, weil er ein Ausländer ist. Er nimmt das Rad seines Vormunds, der ist gerade im Krieg. Mit dem Rad will er zu seiner Tante nach Salzburg. Er will seine Tante besuchen. Die „Flucht“ aus Traunstein misslingt. Er wird nach Hause gebracht. Sein geliebter Großvater schützt ihn vor seiner Mutter, die wieder einmal wütend auf ihn ist.
… das Leben des Buben ist trostlos. Seine Familie ist arm. Die Mutter liebt ihn nicht. Aber er hat seinen Großvater, der ihn immer beschützt und die wichtigste Person in seinem Leben ist.
Paralleltexte
„Wenn du an deine Kindheit denkst,...“ – gedanklich in die Kindheit von Thomas Bernhard schlüpfen:
Wenn du an deine Kindheit denkst, dann denkst du an unzählige Abenteuer, an Radtouren ohne Ziel, an die durch das Radfahren zerrissene Kleidung, an das Genießen der Landschaften, an die frische Luft, an die in der Nacht von den Wirtshäusern entstandenen Geräusche und an die Angst vor dem nach Hause kommen.
Wenn du an deine Kindheit denkst, dann denkst du an Großvater, an deine Vertrauensperson, an die unzähligen Ratschläge, an die vielen für dich damals unverständlichen Worte und Sätze, dessen Bedeutung man erst im Alter kennenlernt, an die für dich bedeutsamen Spaziergänge, wo das Schweigen höchstes Gebot war und es deswegen für dich zum Privileg wurde, wenn man eine Frage stellen durfte; an Worte über Lehrer, dass er von ihnen nichts hielt, an denjenigen, der dich immer in Schutz nahm und ein gutes Wort einlegte, an deinen Zufluchtsort. Wenn du an deine Kindheit denkst, dann denkst du an deine Mutter, die du über alles liebtest, an die unzähligen Schläge mit dem Ochsenziemer, an die ins Herz stechenden Worte, wo du dich heute noch an jedes einzelne genauestens erinnerst, an die Bestrafungen für den damaligen kindlichen Leichtsinn, an jeden einzelnen Schmerz, der dir hinzugefügt wurde, an jede einzelne Träne, die du deswegen vergossen hast, an jeden einzelnen Morgen, wo du erneut im nassen Bett erwacht bist, an jeden einzelnen Tag, wo die Bettwäsche mit dem gelben Fleck hoch oben aus den Fenstern hing, damit jeder sehen konnte, was für ein fürchterliches Kind du nicht warst, an jeden einzelnen Streit, den du deiner Mutter dennoch wieder vergabst und die Schuld immer wieder alleine auf dich genommen hast. Wenn du an deine Kindheit denkst, dann denkst du an die unzähligen von dir verfluchten Schultage, an jeden einzelnen Schlag deines Lehrers auf die Hände, an die glühenden angeschwollenen Finger, an den Schmerz, an die schlechten Noten und die zu Hause erwartete Strafe. Wenn du an deine Kindheit denkst, dann dankst du an die etlichen Hitler-Grüße, an das von ganzem Herzen gehasste Jungvolk, an die Reise nach Saalfeld in das Heim für schwererziehbare Kinder, an die Opferrolle, an das von allen gemiedene und gehasste Kind aufgrund des Bettnässens, an die tägliche Bloßstellung, an die geliebte und heiß ersehnte, sogenannte süße Suppe zum Frühstück, an die Lauferfolge und die Zurufe des Publikums, auf dem Podest stehend, an einen dadurch entstandenen Funken Hoffnung und dennoch die nicht zu vernachlässigenden Selbstmordgedanken.
Wenn du an deine Kindheit denkst, dann denkst du an deinen Großvater, an das Meer, an Wien, an Seekirchen, an deine wenigen Freunde, an die Spaziergänge mit deinem Großvater, an die Radtour bis kurz vor Salzburg, an den Ochsenziemer, an die verletzenden Sätze deiner Mutter, die sich immer noch in deinem Kopf wiederhohlen, an die Totenmessen und die Wirtbesuche danach, denkst an deine erste und sehr hübsche Lehrerin mit dem Mittelscheitel, denkst und denkst und denkst, und deine Gedanken baumeln.
Wenn du an deine Kindheit denkst, denkst du an den Umzug nach Traunstein, an die Eisenbahn, mit der du vor der Schule geflohen bist, an den für dich heiligen Berg in Ettendorf, an die dich peinigenden Lehrer und Mitschüler, an den Rohrstock, daran wie leise du und deine Großmutter immer sein musstet, wenn der Großvater geschrieben hat.
Wenn du an deine Kindheit denkst, denkst du an den Erholungsurlaub in Thüringen, an den Abschied von Zuhause, daran wie schlimm die Zeit dort war, an die durchnässten Schuhe, an das stundenlange Marschieren durch den Wald.
Wenn du an deine Kindheit denkst, dann denkst du an den Mittagstisch beim Friseur Sturmayr, an den Tod der Frau Sturmayr mit der auch der Mittagstisch begraben wurde. Wenn du an deine Kindheit denkst, denkst du manchmal daran, was du früher alles besser machen hättest können. Früher – aber bei dem Wort zieht sich dein Magen und dein Herz zusammen.
Wenn du an deine Kindheit denkst, denkst du an das nasse Leintuch jeden Morgen, daran wie deine Mutter es jeden Tag beim Fenster rausgehängt hat, an dein Schamgefühl, weil es dir so peinlich war, dass es jeder von der Straße aus gesehen hat, an die drei Schwestern denen du beim Klavier spielen fasziniert zugehört hast – auch daran denkst du, wenn du an deine Kindheit denkst.
Du denkst außerdem daran, wie dir dein Großvater beim Spazierengehen die Pflanzen am Wegesrand erklärt hat oder dich vor deiner Mutter in Schutz genommen hat, denkst an die Stimme deines Großvaters, an seine unzähligen Bücher, und an deine Liebe die ihm gegenüber unendlich war.
Wenn du an deine Kindheit denkst, dann denkst du daran, wie du früher die Welt und die Menschen gesehen hast. Wenn du an deine Kindheit denkst kommen so viele Erinnerungen an die Oberfläche, dass du von deinem super Gedächtnis erstaunt bist.
Wenn ich an meine Kindheit denke, denke ich zu allererst an meine Geburt. Der Tag, der für jede andere Mutter, glaube ich, der schönste gewesen wäre, doch für meine Mutter das Unglück ihres Lebens war. Ich denke an ihr Gesicht, wie sie mich zum ersten Mal mit ihrem abscheulichen, undankbaren Blick anschaute. Schon damals wurde ich als uneheliches Kind bezeichnet, obwohl ich doch gar nichts getan hatte. Ein Zeichen von Liebe, sah ich nicht.
Ich denke daran, wie mich meine Mutter bei einem Fischkutter zur Pflege abgeben hatte, mit der Begründung sie musste arbeiten. Doch auch wenn ich damals erst ein Säugling war, verstand ich, dass meine Mutter mich einfach nur loshaben wollte. Ich denke daran, wie sie mich nach langem Alleine sein, endlich meinen Großeltern vorgestellt hatte, aber auch nur deshalb, weil mein Großvater krank geworden war und sie meiner Großmutter helfen musste, ihn zu pflegen. Ich mochte sie beide und vor allem das zubereitete Frühstück von meiner Großmutter. Ich denke daran, wie ich meine erste Freundschaft schloss. Er wohnte auch in dem Bauernhaus, meiner Großeltern. Er war derjenige, der mich für meine hinterlistige Tat, mit dem Waffenrad bis nach Salzburg zu fahren, als Held sah. Ich denke daran, wie ich mit ihm zusammen in die Schule einstieg. Wie ich das erste Jahr noch mit Erfolg abgeschlossen hatte, ich aber in den folgenden Jahren immer weniger Gefallen an der Schule fand und fast sitzen blieb. Ich denke daran, wie wir später nach Traunstein zogen, weil mein Vormund, der Bruder meiner Mutter, eine Arbeit gefunden hatte. Ich denke daran, wie auch dort meine Noten in der Schule nicht besser wurden, sondern sich eher noch verschlimmerten. Ich denke daran, wie meine Mutter immer mehr über mich verärgert war. Wie sie mich schlug, verprügelt und beschimpfte. Ich denke daran, wie ich, aus Liebe zu meinem Großvater, ins Jungvolk eintrat. Doch meine Schwierigkeiten hörten nicht auf. Ich denke daran, wie ich erst später herausfand, dass ich in ein Heim für Schwererziehbare gesteckt wurde. Als ich entlassen wurde, kam ich wieder ins Jungvolk. Ich denke daran, wie ich dort große sportliche Leistungen erbrachte. Sie brachten mir viel Anerkennung. Ich denke daran, wie ich endlich von anderen akzeptiert wurde, ich entwickelte Selbstbewusstsein. Ich denke daran, wie meine Probleme und Schwierigkeiten in der Schule nachließen. Ich hatte so guten Erfolg, dass ich als 13-Jähriger das Salzburger Johanneum besuchte.
Das hätte ich mir nie gedacht. Meine Mutter wäre stolz gewesen.
Wenn du an deine Kindheit denkst, dann denkst du an deine Mutter, die dich versucht hat aufzuziehen. Die versucht hat, aus dir einen klugen, vorbildhaften Mann zu machen. Die versucht hat, dich zu lieben, obwohl du aussiehst, wie ihr Mann, der sie verlassen hat. Du denkst daran, wie dich deine Mutter geschlagen hat, weil sie so verzweifelt mit dir war.
Wenn du an deine Kindheit denkst, dann denkst du nicht nur an deine Mutter, sondern auch an deinen Vater. An den Vater, den du weder gehabt noch gekannt hast. Du hast oft an ihn gedacht, wie er wohl ausgesehen hat und wie er von der Art und Weise und der Persönlichkeit war. Du denkst an die Zeiten, wo du einfach nur wütend auf deinen Vater warst. Er hat dir schließlich die Mutter- Sohn Beziehung zerstört. Wäre er bei deiner Mutter geblieben, wäre dein ganzes Leben anders verlaufen. Wahrscheinlich hast du dir öfters ausgemalt, wie das Leben wohl mit beiden Elternteilen wäre. Hätte dich dann deine Mutter endlich vollkommen geliebt? Hätte dich dein Vater geliebt? Du wirst es leider nie wissen.
Wenn du an deine Kindheit denkst, dann denkst du an deinen über alles geliebten Großvater. Du erinnerst dich an eine Person, die eine deiner wichtigsten Menschen in deinem Leben war. Du hattest auch nicht viele. Doch er hat dir immer Energie und Lebenslust gegeben. Du erinnerst dich an die weisen, tiefgründigen, philosophischen Gespräche mit ihm. Aussagen von ihm, die du nie vergessen hast. Bei ihm hast du dich verstanden und geliebt gefühlt. Nur wegen deinem Großvater hast du dich fürs Leben entschieden. Um ehrlich zu sein, er war der einzige Grund, warum du überhaupt noch am Leben bist und nicht Selbstmord begangen hast.
Wenn du an deine Kindheit denkst, denkst du auch an Lebensphasen, die du lieber vergessen würdest. An deine Schulzeit. Es war der schrecklichste Ort, den es für dich auf Erden gab. Nein, nicht der schrecklichste Ort. Das Heim für schwererziehbare Kinder war der schrecklichste Ort. Während der Schulzeit konntest du wenigstens Schule schwänzen und bei deinem Großvater Energie tanken. Doch diese Zeit würdest du wahrscheinlich lieber vergessen und an andere Erlebnisse denken.
Du denkst, wenn du dich an deine Kindheit erinnerst, auch an die schönen Zeiten. Von den schönen Zeiten gibt es nicht wirklich viel zu erzählen, denn du hattest auch nur eine kurze, schöne Zeit. Diese war in Ettendorf, wo deine Großeltern wohnten. Du erinnerst dich an den Bauernhof, indem du dich sehr gerne aufgehalten hast. Aber du warst auch gerne bei deinem Freund „Schorschi“. Du denkst daran, wie du ihm in seinem kalten Zimmer die Geschichte mit dem Steyr- Waffenrad erzählt hast und er dich danach als Held angesehen hat. Du erinnerst dich auch daran, wie du am Balkon deiner Großeltern, deine Ohren spitztest, um die Glocken aus Moskau hören zu können. Bei diesen kleinen, scheinbar bedeutungslosen Erlebnissen geht dir dein Herz vor Freude auf.
Wenn du an deine Kindheit denkst, dann denkst du an den gescheiterten Versuch mit dem Fahrrad nach Salzburg zu fahren, um deinen Mitmenschen zu zeigen, dass du gut genug bist, dann denkst du an das Leben am Land in Seekirchen, in Wien, in Bayern, dann denkst du an die immer wieder kehrenden Hänseleien, die dich kaputt gemacht haben, dann denkst du an die Worte, die deine Mutter immer zu dir gesagt hat, die dir im Herzen wehgetan haben, an alle einzelnen Sekunden, Tage, Jahre an denen du unerwünscht und immer nur der Abschaum für alle warst.
Wenn du an deine Kindheit denkst, dann denkst du an den Schmerz, den du erleiden musstest, an die Worte, die aus den Mündern deiner Geliebten kamen, die sich so tief in dich reinfraßen, dass du einen Ausweg finden musstest, um dem Leid zu entkommen, das dir über die Jahre hinweg zugefügt worden war. Wenn du an deine Kindheit denkst, dann denkst du an den einzigen Menschen der dich jemals respektiert und nicht verachtet hat, deinen Großvater, an dein Idol, an deinen Retter, an deinen Zufluchtsort von allen bösen Gedanken, Worten, Menschen, an denjenigen der immer hinter dir stand und dir immer und überall geholfen hat, an den Menschen der ein Vater für dich war, weil du nie einen Vater hattest der für dich da sein konnte, an denjenigen der dir gezeigt hat wie man sich den ersten Bart rasiert, wie man zu einem Mann wird, wie man Dinge macht die einem sonst niemand zeigen konnte. Wenn du an deine Kindheit denkst, denkst du an deine Mutter, die dir so viel psychisches Leid zugefügt hat, dass du nicht mehr wusstest wohin mit dir selbst, wohin mit deinem Leben und trotz alledem hast du sie von Kopf bis Fuß geliebt, einfach nur weil du wusstest, dass sie nicht dich hasst und verabscheut, wenn sie so mit dir geredet hat, sondern deinen Vater, der Mann, der sie verlassen hat, als sie ihn gebraucht hatte. Wenn du an deine Kindheit denkst, denkst du an die Tage in der nationalsozialistischen Erziehungsanstalt, die dir beibringen sollte, wie man sich benimmt, an die vielen Menschen die dir dort Leid angetan haben, die dich geschlagen haben, die dir einen Dolch in dein bereits verwundetes Herz gestoßen haben, um dich zu schikanieren, an deinen einzigen Freund den du jemals hattest, an den Menschen, der genauso ein Außenseiter war wie du. Wenn du an deine Kindheit denkst, denkst du an die vielen Tage, an denen du in einer Ecke zusammengekauert gelegen hast und dir den Schmerz und die Ungerechtigkeit auf dieser Welt aus dem Leibe geweint hast. Wenn du an deine Kindheit denkst, denkst du an den schönen Sommertag, an dem du draußen gespielt hast und dann am Abend nachhause gekommen bist um als „das scheußlichste Kind aller Kinder“ beschimpft zu werden.
Portraitgedichte
Portraitgedichte zu einer literarischen Figur aus dem Roman bzw. Thomas Bernhard selbst:
Er fand Blätter, die er
Mit einer Behutsamkeit auf seinem Tisch
Leidenschaftlich beschrieb.
Er war arm gekleidet.
Er war aber trotzdem schick.
Er war wie ein König auf seinem Thron.
Schon in der Früh bestellte er
Die Sonne, damit er
seinen Spaziergang machen konnte.
Da war ein Enkel,
Der schaute ihn mit großen Augen an.
Da konnte er nicht nein sagen.
Nun gingen die beiden und
es ist ruhig, doch hin und wieder
Werden Lektionen erteilt.
Georg
Der nichts vom katholischen Glauben hält
Der nichts von der Schule hält
Der seinen Enkel verteidigt
Der seinem Enkel ein großes Vorbild ist
Der selber, als er jung war, viele Strapazen gemacht hat
Der nicht in einer Stadt leben möchte
Der Schriftsteller ist
Der lange nichts verdient und vom Gehalt seiner Frau und Tochter gelebt hat
Der durch seine Frau Ansehen bekommen hat
Der oft an Selbstmord gedacht hat
Der sehr viel auf den Verstand jedes Menschen setzte.
Lena
Ich liebe dich!
Ich liebe dich nicht!
Ich liebe dich!
Ich liebe dich nicht!
Ich bin verlassen worden
Du bliebst mir
Doch du widerst mich an
Ich schlage nicht auf dich ein
Ich schlage auf deinen Vater ein
Ich beschimpfe nicht dich
Ich beschimpfe deinen Vater.
Ich übergebe dich anderen
wegen meiner Arbeit
Doch eigentlich
schäme ich mich zu Tode für dich
Ich habe Angst über dich
etwas zu berichten
Wann hört das alles nur auf?
Karla
Sie wurde verlassen von einem Nichtsnutz,
Als Dank bekam sie nur
Einen Unruhestifter.
Sie hatte Hilfe und Schutz durch ihre Eltern.
Sie hatte einen neuen Geliebten.
Sie hatte einen Ochsenziemer
Gegen Mittag suchte sie ihren Sohn,
Der in seinem Abenteuer lebte,
Mit dem Rad des Vormunds.
Sie bebte vor Wut.
Sie hielt den Ochsenziemer.
Sie wartete die ganze Nacht.
Als er sich blicken ließ,
Verprügelte sie ihn
Windelweich.
Anna G.
Sie wurde schwanger, mit einem
Sohn den sie nicht wollte.
Sie bestrafte ihn.
Sie hasste ihn.
Sie liebte ihn.
Sie war wütend auf
Ihren Sohn, weil er existierte.
Sie war wütend auf den Vater,
Weil er sie alleine gelassen hatte,
Mit dem unehelichen Sohn,
Den sie nicht wollte.
Sie schlug ihn.
Sie hatte einen neuen Mann.
Sie hatte zwei neue Kinder.
Sie wusste nicht mehr, was sie mit dem
Sohn machen sollte und gab ihn in
Ein Heim.
Elena
Der mit der traumatischen Kindheit
der sich auf Begräbnisse auf Grund von Würstelsuppen freute
der im Laufen immer der Schnellste war
der die Geografie und das Zeichnen liebte
der seinen Großvater verehrte
der schon in frühester Kindheit mit Tod und Selbstmord konfrontiert war
der seinen Vater, dem er so ähnlich sah, nie kennenlernen durfte
der so oft sein altes Zuhause hinter sich lassen musste
der von seiner Mutter geschlagen wurde
der die Ochsenziemertortur und jene Schmerzen nur zu gut kannte
der mit verletzenden Worten noch viel mehr ruiniert wurde
der in ein Heim für schwererziehbare Kinder gesteckt wurde
der mit knurrenden Magen Heil Hitler rufen musste.
Der Bettnässer
der Nichtsnutz
der Unfriedenstifter
der Versager.
Marlene
Er, der lange Bettnässer gewesen war.
Er, der früh eingeschult wurde.
Er, der lange bei seinen Großeltern lebte.
Er, dessen Lieblingsort Seekirchen war.
Er, der den Hippinger Hansi kannte.
Er, der seinen leiblichen Vater nicht kannte.
Er, der zu wenig geliebt wurde.
Er, der sein Leben beenden wollte, aber es nicht geklappt hat.
Aber dennoch hat er gelebt.
Isabella
Er fand ein Rad, mit dem er
Den Weg nach Salzburg radelte.
Er hatte Mut
Er hatte Ausdauer.
Er hatte Ziele.
Er hat die Adresse vergessen,
damit er wieder zurückkehren konnte.
Er hatte, Pläne.
Er suchte Unterschlupf.
Er ließ sich helfen.
Die Ungeheuerlichkeit
fürchtete er mit seiner
Zurückkehr.
Lisa
Er schrieb Bücher, die er
erfolgreich verkaufen und
ausstellen konnte.
Er hatte einen Ruf.
Er hatte viele Preise.
Er hatte viel Erfolg.
Gegen Mittag schrieb er
Bücher, damit er gegen Abend fertig wurde.
Er hatte Ideen.
Er erzählte eine Geschichte.
Er schrieb alles Negative, das ihm einfiel, auf.
Um Ehrlichkeit und Weisheit kämpfte er sich
mit seinen Gedanken.
Amelie